Orgel


 

 

Blick auf die Orgel vor der Restaurierung

 

 

 

Die St. Levin Kirche in Harbke besitzt eine wertvolle Orgel von Christoph Treutmann aus den Jahren 1727/28 mit einem Teilbestand älteren Pfeifenwerkes aus dem Vororgelbau von Gottfried Fritzsche von 1621/22.

1572 erbaute Achaz II. von Veltheim anstelle einer älteren romanischen Kirche das heutige Kirchenschiff. Ob dieser romanische Vorgängerbau bereits eine Orgel besaß, ist nicht überliefert. 1586 schließt Achaz II. von Veltheim mit Heinrich Compenius d. Ä. aus Nordhausen ( 1546 - 1611) einen Kontrakt über den Bau einer neuen Orgel. Heinrich Compenius d. Ä. stammt aus der ältesten Generation der berühmten Compenius-Familie und ist durch viele Orgelbauten bekannt (Predigerkirche in Erfurt, Dom in Fritzlar). Hier ein Auszug aus dem Kontrakt (Auszug aus der Akte "Die anno 1587 und 1621 neugemachte, und a. 1729 reparierte Orgel betr., samt anderen die Orgel angehende Nachrichten", Landesarchiv Magdeburg, Außenstelle Wernigerode):

"Zu Wissen daß heut Dato am tage Nicolai ao 86 ... wegen eynes neven Orgelwergks ... über den altar in der Kirchen zu Harbke ... mit folgenden spezifirten stimmen, als nemlich eyn lieblich flötisirendt principal, Gedacten baß  aequall pedalitar, Schwiegell, Feldflötleyn Gemßhorn, Suiflöt, Mixtur duppeld, Zimmel, Cuintaden, Krumphorn, Schweißerbaß, Basune, Tremulant Vogelgesangk. Und dieses wergk sol mit dreien balgen belegt und auff sonderliche liebligkeit des wergks gerichtet werden."

Diese Orgel hatte eine typische Renaissance-Disposition, die die Charakteristik ihrer Einzelstimmen vor die Einordnung der einzelnen Register in den Principalchor usw. der nachfolgenden Barockzeit setzte.

Diese Orgel war anscheinend mit wesentlichen Mängeln behaftet, denn schon am Sonntag nach Johann Baptist 1587 gibt es ein "VorZeichnus (?) der mengell, so Ich noch diesen Tagk an der Orgell selbst befinde" und alle Akten bis 1594 weisen ebenfalls daraufhin. 

Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts muß der Zustand der Orgel so schlecht gewesen sein, daß Burchard von Veltheim sich entschloß, eine neue Orgel zu bauen und darüber einen Kontrakt  mit Gottfried Fritzsche (1578 oder 1580 - 1638) abschloß,  der zu dieser Zeit seine große Orgel in der Marienkirche in Wolfenbüttel erbaute. In Harbke wird 1621/22 folgende Disposition veranschlagt und ausgeführt::

1. Prinzipal von gutes reines Zinnen 8.  fuß ton
2. Gedackt Untersatz manualiter  16.  fuß
3.  Untersatzt pedaliter 16.  f.
4.  Rohrflöte    8.  fuß
5. Octava   4.  f.
6. Quinta  3.  f.
7. Quintaden 4.  f.
8. Blockflöte   4.  fuß
9. Mixtur  4.  fach
10. Cimbel  2.  fach
11. Schwiegell  1.  fuß
12. Krumhorn 8.  fuß
13. Siflith 2.  fuß
14. Posaunen Baß 16.  fuß
15. Fagotten  8.  fuß
16. Singet Cornet 2.  fuß
17. Schweizer Baß  1.  fuß
18. Zimbell Baß 2.  fuß
4 Spanbelge von 3 Ellen lang, Tremulant Vogelgesang, Trummel"

Daß Clavier Soll gehen
                      C D E F G A B H c cis d dis e f  fis g gis a b c' cis' d' dis' e' f' fis' g' et biß
auff daß cis''' d''' daß Pedal von C bis cis' d'

Diese neue Orgel wurde größer als die alte und ist bereits nach dem Schema der Barockzeit geordnet. Sie ist qualitativ so gut gewesen, daß es keinen Anlaß zur Klage gab.

Als der Kirche 1718/19 ein Turm hinzugefügt wurde, baute der Orgelbauer Christoph Treutmann aus Magdeburg (1673/74 - 1757) die Fritzsche Orgel ab. 1727 machte er mehrere Vorschläge zur Reparatur der Orgel. Er will u. a. ein neues Rückpositiv mit 8 Registern bauen und das alte Werk "putzen". Im endgültigen Kontrakt wird dann folgendes festgelegt:

 " Anschlag, wie im Orgelwerk in Hiesiger Kirche zu Disponieren und zu verfertige, wen die 12 Stimen im Haubtwerk bey behalten werden, welche sind

1. Prinzipal - 8  fuß von Zinn
2. Octave - 4  fuß von metall
3. Gedact  - 8  fuß von metall
4. Spitzflöt  - 4  fuß von metall
5. Quinta  - 3  fuß von metall
6. Quintadena - 4  fuß wird die unterste Octave neugemacht, daß sie 8 fuß wird
7. Superoctave    - 2  fuß wird separiret von der Mixtur 4 fach, daß man sie a parte brauchen kann
8. Swiegel    - 1  fuß von metall
9. Mixtur - 3  fach von metall
10. Cymbel    - 3  fach fängt im c' an, bis c'''
11. Spitzflöt   - 2  fuß von metall
12. Tromet - 8  fuß neu, die Corpora von metall, die  Mundstücke,  Zungen Krücken von Meßing

Ins Neue Rückpositiv

1. Principal    - 4 fuß von Zinn Magdeburger probe
2. Gedact  - 8 fuß von Holtz
3. Flöte - 4 fuß von Holtz
4. Octave  - 2 fuß von metall
5. Quinta  - fuß von metall
6. Superoctave  - 1 fuß von metall
7. Scharff - 3 fach von metall
8. Cromhorn - 8 fuß alt, mit der neuen Tromet verwechselt, welche ins Haubwerk komt

Ins Pedal

1. Posaunenbaß - 16 fuß die Corpora von Holtz, die Mundstücke, Zungen und Krücken Meßing
2. Supbaß - 16 fuß alt, wird von der oberen Lade ins a parte pedal genomen

Zu diesem Pfeiffenwerk werden drey neue Laden als 2 manual, und 1 Baßlade von tüchtigem trockenem Eichenholtze gemacht, mit gutem Leder befüttert, Federn, stifte, Angehänge alles von Meßing.

Drey Claviere, als 2 manual und ein Pedalclavir, die Manualclavire von Eichenholtz disponieret C  D  Ds etc.: bis c' .

Eine Structur so wohl zum Manual, Rückpositiv und Pedal von Tannenholtz . mit benöthigten Zierathen.

Das alte Pfeiffenwerk durch gehens zu repariren, desgleichen auch die Blasbälge so viel als möglich ist, und die Späne mit Pergament-Riemen über das noch zu ver wahren."

Nach dieser Disposotion wurde die Orgel 1727/28 erbaut und 1729 vom Braunschweiger Organisten O. A. Leiding abgenommen und  mit einem sehr positiven Gutachten versehen. Durch mangelnde Emporentiefe und -höhe im Kirchenschiff mußte der Hauptkorpus der Orgel im Turm aufgestellt werden, die Höhe ist durch den Sandsteinbogen sehr begrenzt. Das Rückpositiv fand seine Aufstellung, wie üblich, in der Emporenbrüstung, mußte allerdings in der Höhe ebenfalls klein gehalten werden. Der Principal 4' steht erst ab D im Prospekt. Das Gehäuse und die Windladen baute Treutmann neu unter Verwendung von Teilern der Fritzsche-Orgel. Alle Stimmen Fritzsches wurden wieder verwendet und bilden die Basis für das Hauptwerk.

Christoph Treutmann baute diese Orgel ganz im  typischen Stil der Harzorgelbauer. 

 
 

Fritzsche-Treutmann-Orgel vor der Restaurierung

Das ungefaßte Gehäuse und eine weitere Reihe typischer Merkmale verweisen ihn in diesen Kreis. Er verwendet die von Fritzsche angegebenen Register (ohne den Princ. 8' Manual); allerdings gestaltet er dieses nach seinen Klangvorstellungen völlig um, d.h. er verwendet nicht die Konzeption von G. Fritzsche, sondern integriert sie ganz in seine eigene Klangauffassung. In den beiden folgenden Jahrhunderten haben eine ganze Reihe Orgelbauer das Werk unterhalten bzw. geringfügig umgestaltet. Unter anderem reinigte Johannes Michael Papenius aus Halberstadt 1742 die Orgel und veränderte die Stimmung "insonderheit, da die Temperatur nach alter Art sehr unreine, selbiger abgeholfen und nach jetziger Art eine reine Stimme hineingebracht". Johann Maul fertigte 1762 einen neuen Balg an. 1917 wurden sämtliche Prospektpfeifen von den Gebrüder Sander aus Braunschweig zu Kriegszwecken ausgebaut. Er wurde später durch einen unschönen Zinkprospekt ersetzt. Im Jahr 1948 wurde die damals schon angespannte Rückpositiv-Mechanik von Herrn Orgelbaumeister R. Kühn aus Merseburg verlängert, so daß das Rückpositiv zu dieser Zeit wieder spielbar war. Ein elektrisches Orgelgebläse wurde 1967 eingebaut. Außerdem wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt die 4 Keilbälge entfernt, die originale Manualklaviatur mit der Manualkoppel gegen eine andere, des 19. Jahrhunderts mit einem größeren Tonumfang und ohne Manualkoppel ausgewechselt, das Gedackt 8' in einen gedeckten 16' umdisponiert, und es verschwanden sämtliche Zungenbecher der Trompete 8' HW und der überwiegende Teil der Zinnbecher des Krummhornes 8' RP.

Durch die Schiefstellung des Turmes wurde das Hauptteil vom Rückpositiv getrennt. Das Hauptwerk wurde 1993 wieder bespielbar gemacht.

Restaurierung der Fritzsche-Treutmann-Orgel

In der Zeit von Mai bis Dezember 2007 wurde die Orgel durch die Orgelwerkstätten Dutschke aus Salzwedel und Wegscheider aus Dresden restauriert. Der Aufgabenbereich der Firma Wegscheider umfasste dabei das historisch wertvolle Pfeifenwerk, das Orgelgehäuse, die Windladen und die Intonation. Die Firma Dutschke restaurierte den Orgelwind und die Spielanlage.

 

Fritzsche-Treutmann-Orgel nach der Restaurierung
(Foto von Hans-Wulf Kunze)

 

Das unbemalte Orgelgehäuse ist zum größten Teil im Originalzustand von 1728 erhalten. Einige Orgelteile waren durch die Dispositionsänderung (Bordum 16') verändert worden, und an verschiedenen Stellen waren im Laufe der Zeit teilweise provisorische Reparaturen und kleinere Ergänzungen erfolgt. Auch der Spieltischeinsetzer war beim Einbau der Klaviatur im 19. Jahrhundert verändert worden. Die Firma Wegscheider ersetzte, reparierte oder rekonstruierte diese fremden, umgebauten und reparaturbedürftigen Teile in sorgfältiger Arbeit. Das Orgelgehäuse und der Spieltisch sind nun wieder in Zustand von 1728 gebracht worden. Zum ersten Mal seit ihrer Erbauung im Jahre 1728 wurden die Windladen, die noch von relativ gut erhalten waren, vollständig geöffnet und freigelegt, um sie nach Rissen und undichten Stellen zu untersuchen. Nach ihrer Restaurierung wurden die Windladen wieder in ihre originalen Lager eingepaßt. Im Rückpositiv konnte auf Grund der gefundenen Spuren am Gehäuse und durch die Gekröpfte Holzpfeife, die Lage des Cimbelsternrades mit den Krallenglöckchen wieder rekonstruiert werden.
Ab 1934 übernahm die Firma Rühlmann aus Zörbig die Pflege der Orgel und baute 1935 zwei neue Manualklaviaturen aus ihrem Lagerbestand ein. In dieser zeit sind vermutlich auch die bis dahin noch vorhandenen Bälge von Fritzsche entfernt worden, da sich ein großes Mgazingebläse mit zwei Handschöpfern, in typischer Rühlmannbauweise in der oberen Etage des Treutmannschen Balggestells befand. Man beschloss, die Balganlage wieder zu rekonstruieren. Bei der Rekonstruktion der Bälge fand die Firma Dutschke verschiedene Eintragungen. Der Orgelbauer Eduhard Beyer aus Magdeburg, der die Bälge 1920 reparierte, klebte einen Zettel mit folgendem Wortlaut ein:
" Diese Orgel wurde vom Orgelbauer Treutmann aus Magdeburg für die Kirche zu Egeln gebaut im Sept. 1731. Die Bälge neu beledert 8 Stück neue Falten gemacht. Von dem Orgelbauer Ed. Beyer aus Magdeburg ... gekauft von Egeln i. J. 1867."
Zusätzlich mussten zwei neue Bälge rekonstruiert werden. Die Holzfalten mussten aber von allen vier Bälgen neu hergestellt werden.
Die gesamte Kanalanlage war stellenweise sehr stark von Anobien zerfressen und von außen komplett mit Bolus-Leimfarbe eingestrichen. Die Kanäle wurde durch die Firma Dutschke in ihrer Werkstatt in Salzwedel restauriert. Die Farbe wurde in mehreren Waschgängern entfernt. Kanäle, die zu stark vom Holzwurm zerstört waren, wurden ergänzt.

 
 

Spieltisch

Die vorgefundene Manualklaviatur von Rühlmann hatten einen Tastenumfang von C, Cis-d3. Die Untertasten waren mit Knochen belegt, die Obertasten mit Ebenholz. Die Klaviatur wurde schon einmal restauriert.

Um den früheren Zustand wieder herzustellen, war eine gründliche und umfangreiche Restaurierung notwendig.
Die Registerzüge waren noch original, allerdings mit einigen Beschädigungen, vorhanden. Die Registerbezeichnungen waren auf Papierschilder geschrieben und stammt wahrscheinlich aus dem 19.Jahrhundert. Aufgrund dieser Beschriftung war erkennbar, das zu dieser Zeit der Cimbelstern entfernt und dafür die Manualkoppel eingebaut worden waren.
Bei der Restaurierung des Rückpositivs mussten die Neigung des Turmes sowie ein neueingezogener Balken berücksichtig werden sowie der Mittelbalken, der der Tontraktur im Wege war.
 

Disposition der Fritzsche-Treutmann-Orgel nach der Restaurierung
durch die Orgelbauwerkstätten Jörg Dutschke, Salzwedel und Kristian Wegscheider, Dresden

Die Bezeichnung der Register folgt den Registerbeschriftungen des 19.Jahrhunderts auf den Spieltisch. beschädigte Registerschilder wurden ergänzt, fehlende erneuert.

Hauptwerk obere Klaviatur C, D bis c'''

Prinzipal

-

8

 fuß

Octave

-

2

 fuß

Gedact 

-

8

 fuß

Spitzflöt 

-

2

 fuß

Quintatön 

-

8

 fuß

Schwigel

-

1

 fuß

Octave

-

4

 fuß

Mixtur  

-

3

fach

Spitzflöte

-

4

 fuß

Choral Cimbel   

-

3

 fach

Quinta  

-

3

 fuß

Trompete

-

8

 fuß

 

Rückpositiv untere Klaviatur C, D bis c'''
 
Prinzipal -

4

 fuß

Quinta -

1½

 fuß

Gedact  -

8

 fuß

Octave -

1

 fuß

Flöte -

4

 fuß

Scharf -

3

fach

Octave -

2

 fuß

Cromhorn -

8

 fuß

 

Pedal C, D bis c'

Subbaß

-

16

 fuß

Posaune

-

16

 fuß

weiter Registerzüge:

Tremulant, Cimbelstern, Pedalcoppel, Calcant,
Ventil ins Hauptwerk, Ventil ins Rückwerk.
Die Manualkoppel wurde als Klötzchenkoppel konstruiert. Sie ist über Knöpfe zwischen den Klaviaturen schaltbar.

Das Gesamtbild des Kirchenraumes wird durch das Orgelgehäuse mit dem Hauptprospekt und der Anlage des Rückpositivs geprägt. Als Material wurden für die tragenden Hölzer im Inneren der Umhüllung Eiche verbaut, Rahmen und Füllungen sind hingegen aus Kiefernholz gefertigt. Die Sockelleisten am Anschluss zum Emporenfußboden sind aus Fichtenholz. Besonders hervorzuheben ist das geschnitzte Schleierwerk an den Prospektbereichen. Zwischenzeitliche Ergänzungen  bzw. Reparaturversuche konnten die handwerklich hohe Ausführungsqualität des Originals nicht erreichen. Erst im Verlauf der jetzigen Restaurierung konnte an die Perfektion der Erbauungszeit angeknüpft werden.
Bei der Entscheidung über die Stimmung der Orgel ließ sich die Orgelkommission von dem historische Befund leiten, der auf eine mitteltönige Stimmung hindeutet, berücksichtigte aber die Tatsache, dass die Orgel durch Treutmann in das 18. Jahrhundert übertragen worden ist. Die Entscheidung für eine modifizierte mitteltönige Stimmung begünstigt in für alle spürbarem Maße die Möglichkeit der Repertoireauswahl und den praktischen Einsatz der Orgel für den Gottesdienst. Die Originalstimmtonhöhe konnte aus dem originalen Pfeifenbestand ermittelt werden. Sie liegt eine Halbton höher als die heutige Normalstimmung.

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